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Das deutsche olympische Boxen am Scheideweg

by Wolfgang Wycisk

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Offenener Brief von Sarah Scheurich

Foto: Sarah Scheurich

Offener Brief von Sarah Scheurich

Hannover, 04.08.2021

Mein Name ist Sarah Scheurich, ich bin olympische Boxerin und die erste Frau die in Deutschland an einer Sportschule Boxen trainiert hat. Ich bin amtierende Deutsche Meisterin, habe eine Vielzahl internationaler Medaillen geholt und stehe aktuell auf Platz 20 der Weltrangliste. Sport war für mich immer mehr als eine reine Körperübung. Dass es bei Sport auch um Werte, Ideale und Charaktereigenschaften geht, steht für mich an erster Stelle. Gerade als Frau in einer „Männersportart“ bekam ich den überall präsenten Chauvinismus und Sexismus zu spüren. Für mich als Frau, die immer aufrichtig durchs Leben gehen will, bleibt nur der Weg „zu sagen was ist“.

Zu sagen, dass die Strukturen im deutschen Boxen leistungs/ und frauenfeindlich sind, zu sagen, dass sexualisierte Gewalt von verbalen Angriffen bis hin zu körperlichen Übergriffen in deutschen Box-Clubs vorkommen. Wichtig auch, zu sagen, dass auf vielerlei, mehr oder weniger subtile Art, das Grundrecht der Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, zu sagen, dass es im Deutschen Boxsportverband, auch auf Grund der vorhandenen Abhängigkeitsverhältnisse, keine demokratische Mitbestimmung der Sportler*innen gibt. Im Gegenteil haben wir es mit Strukturen zu tun, die ein absolut undemokratischen und intransparenten Führungsstil befördern, der von außen her nur als willkürlich bezeichnet werden kann.

Frauen, die im Deutschen Olympischen Boxen ihre Stimme erheben, von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen, gelten als „unführbar“, das Arbeiten mit ihnen wird vom DBV Vorstand, wie für „Trainer und Betreuer“ als „unzumutbar“ bezeichnet. Es gipfelt in der Aussage, dass diese Trainer und Betreuer vor den Sportlerinnen beschützt werden müssten. Daraus resultierend sind von Mobbing angefangen bis hin zum Beenden der Karriere alle Möglichkeiten der Repressalien möglich und. Ausgenutzt wird dabei die Abhängigkeit der Sportler*innen von ihrer finanziellen Förderung. Diese Abhängigkeit wird vom DBV-Vorstand als Druckmittel eingesetzt. Das geht soweit, dass Eltern volljähriger Sportler*innen angerufen und unter Druck gesetzt werden und sogar Trainer oder andere Sportler, die sich diesem vom DBV inoffiziell ausgerufenen Bann nicht unterwerfen und weiter mit diesen Sportler*innen arbeiten, mit Repressalien bis hin zur Kündigung rechnen können.

Leider muss ich konstatieren, dass es für betroffen Sportler*innen keine Lobby, also keine Hilfe gibt. Es existiert keine unabhängige Athletenvertretung, die Frauenbeauftragte reagiert nicht auf Anfragen und wurde nie durch Boxerinnen legitimiert. Der Ombudsmann des DBV erklärte ausdrücklich, dass er nur die Interessen des DBV vertritt, Sportfördergruppe der Bundeswehr, BMI und DOSB berufen sich auf die „Autonomie des Sportes“ und behaupten, nichts tun zu können. Auch die Anrufung des Sportausschusses des Bundestages brachte keine Hilfe. Einzig die Vereinigung Athleten Deutschland e.V. und die Sporthilfe versuchen zu helfen. Wir haben es hier leider mit demokratiefreien Räumen zu tun.

Ich appelliere an Sie, mit uns zusammen diese sportfeindlichen Zustände zu beseitigen. Ich bin der Überzeugung, dass alle Institutionen, die diesen Verband finanzieren (DOSB, BMI, Sporthilfe, Bundeswehr etc.) eine originäre Verpflichtung haben, darauf zu achten, dass ihre Gelder und ihre Dienstleistungen, die ja von Steuerzahler*innen stammen, ausschließlich für den Aufbau demokratischer Strukturen verwendet werden.

Sie haben Verantwortung für die Sportler*innen!

Ich bitte auch alle um Hilfe, die Kraft ihrer Position eine Stimme haben, die gehört wird, Politiker*innen, die sich aktuell hinter der Autonomie des Sports verstecken. Liebe Politiker*innen, die Autonomie des Sports ist kein Maulkorb. Niemand hindert Sie daran zu sagen, was ist und sich öffentlich zu positionieren, ich denke Sie sind dazu verpflichtet.

Helfen Sie uns, den Deutschen Boxsportverband zu einem für Frauen und Männer attraktiven, diskriminierungsfreien Verband zu machen, der den Werten des Sports wie Gerechtigkeit und Fairness gerecht wird. Helfen Sie uns Strukturen echter Mitbestimmung und Teilhabe zu etablieren, helfen Sie uns, dass alle Athlet*innen den Sport im Deutschen Boxen frei, unabhängig und ohne Angst ausüben können. Sie haben Verantwortung und die Möglichkeit dieser Verantwortung gerecht zu werden.

PS.: Ich habe bewusst als Einzelperson geschrieben und darauf verzichtet, ins Detail zu gehen und konkrete Missstand-Erfahrungen zu schildern. Wir sind aber bereit, bei Interesse, konkrete Vorfälle, Situation zu schildern und zu belegen. Gern erzählen wir von unserem Kampf gegen Windmühlen, den viele von uns nicht ohne Blessuren überstanden haben. Eine weitere Quelle für Ihre Recherche können die vielen Medienberichte sein, die über unseren Kampf in allen großen Zeitungen und im Rundfunk publiziert wurden.

Sarah Alexandra Scheurich, ehemals Boxnationalmannschaft, ehemals Athlentensprecherin, Begründerin von #coachdonttouchme – gegen sexualisierte Gewalt und Belästigung im Sport

Tasheena Hettel (Buga),  ehemals Boxnationalmanschaft

Julia Irmen, ehemals Boxnationalmanschaft

Ramona Graeff, ehemals Boxnationalmanschaft

Azize Nimani,  ehemals Boxnationalmanschaft

Kastriot Sopa, ehemals Boxnationalmanschaft

Manfred Schumann, ehemals Präsident Niedersächsischer Boxverband, mehrfacher Medaillengewinner bei olympischen Spielen

Dr. Horst-Peter Strickrodt, Fachanwalt für Sportrecht, ehemaliger Sportdirektor des DBV

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